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SMARTER – Zur Forschung und deren sinnlosen Ergebnissen

Durch einen SPIEGEL-Artikel bin ich auf ein Forschungsprojekt der TU Darmstadt und des “Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK)” aufmerksam geworden, das sich SMARTER nennt. Das Projekt beschreibt eine App für Android, die es Nutzern ermöglicht, ohne Mobilfunknetz oder Internet untereinander zu kommunizieren. Gedacht ist die Anwendung für Katastrophensituationen, bei denen das mobile Funknetz ausfällt, bei “Stromausfällen und Hackerangriffen”.

Das klang verdächtig nach meiner Bachelorarbeit “Decentralized mobile mesh network for secure communication”, in der das Konzept eines Messengers umgesetzt wird, der nur die im Smartphone vorhandenen Technologien verwendet, um (verschlüsselte) Nachrichten auszutauschen.

In meiner Arbeit behandle ich auch existierende Lösungen, denn ehrlich gesagt ist die Idee nicht neu und es gibt bereits verschiedene Implementierungen des Konzeptes mit unterschiedlichen Zielen. Darunter befinden sich auch Projekte wie das Serval Project, das dazu gedacht ist, im Notfall mit Helfern und Verletzten kommunizieren zu können, ganz ähnlich wie SMARTER das umsetzen möchte. Es gibt also schon Projekte, die teilweise global existieren und agieren, und als Entwickler stelle ich mir oft die Frage: Wieso nochmal das Rad neu erfinden?

Tatsächlich verstört mich die offizielle Beschreibung des Projektes. Mit einer Gesamtzuwendung von 2,2 Millionen Euro wurde hier eine Idee umgesetzt, die schon in mehrfacher Ausführung implementiert wurde. Ich spreche von “verstört”, was sehr hart klingt, daher muss ich das erklären.

Vor dem Lesen des Artikels dachte ich mir: “Interessant. Mal sehen, wie diese “Forschungsgruppe” die vielen Probleme löst, die ich vor fast 2 Jahren beim Entwurf und der Implementierung hatte.” Vielleicht gab es ja Entwicklungen, die jetzt eine effiziente Lösung möglich machen. Es sind ja wohl viele intelligente Köpfe im Projektteam, die sich mehr als 2 Jahre lang Gedanken darüber gemacht haben, während ich praktisch nur 4 Monate hatte.

Die Probleme waren zahlreich: Der Datenaustausch muss über Bluetooth oder WLAN erfolgen. Bei Bluetooth hat man zwar eine gute Verbindung, aber die Reichweite ist mangelhaft (~10m) und die Bandbreite begrenzt. Bei WLAN ist die Bandbreite und die Reichweite zwar deutlich besser, aber der Aufbau der Verbindung ist aufwendig, denn eine direkte Verbindung (Ad-hoc genannt) ist von Android und der eingebauten Hardware nicht vorgesehen, und man muss umständlich einen eigenen Hotspot einrichten, mit dem der Nutzer quasi als Router agiert. Und das sind nur die technischen Schwierigkeiten, von den organisatorischen Problemen will ich gar nicht anfangen (z.B. “wie lade ich die App im Notfall herunter, ohne Internet?”). Außerdem, da hat wieder mal niemand an die armen Apple-Nutzer gedacht!

Solche Probleme und weitere hätte SMARTER lösen können. Vielleicht wäre auch eine entsprechende Implementierung für iOS herausspringen können. Das Konzept ist wichtig und könnte tatsächlich eines Tages Menschenleben retten. Doch die Umsetzung von SMARTER ist…grauenhaft. Hier einige Zitate aus dem SPIEGEL:

Bei einem Stromausfall hilft die App aber nicht lange beim Überleben: Jede Minute kostet etwa ein Prozent der Akkuleistung.

Das Problem ist der fortlaufende Scan-Vorgang des WLAN-Chips, um neue Geräte zu finden, was leider sehr viel Strom frisst. Durch wirklich “smarte” Konzepte und die Kombination von Sensoren kann man die aktive Zeit eines Scans reduzieren. Vielleicht wird das in der App doch umgesetzt, doch das Ergebnis ist tatsächlich ernüchternd. Wer hat schon in einem Notfall einen vollen Akku?

Außerdem haben die Forscher das Betriebssystem der Smartphones aufgebohrt. Denn eigentlich verbieten die Hersteller, dass die WLAN-Chips für ein Ad-hoc-Netzwerk angezapft werden. “Wir haben gezeigt, dass es geht”, sagt Hollick. Nun gehe es darum, dass Hersteller wie Apple und Google ihre Software freigeben für die Notfall-Kommunikation mit anderen Smartphones. Ansonsten braucht es wohl gesetzliche Vorgaben.

Die Aussage macht mich einfach fertig: “Wir haben gezeigt, dass es geht”? Nein, andere Entwickler haben gezeigt, dass es geht, und das schon seit Jahren. Die Entwickler bei xda-developers, einem Forum für Android-Entwickler, haben Lösungen entwickelt (z.B. hier). Diese Lösungen sind aber nur auf Geräten mit Admin-Rechten (sogenannte root-Rechte) anwendbar, was eine schwierige Prozedur und technisches Verständnis erfordert. Klar “geht es” dann, aber das ist doch keine praktikable Lösung!

Lieber Nutzer, bitte unterziehen Sie im Voraus ihr Smartphone einer komplexen Prozedur und installieren Sie dann bitte auch noch externe Software, die Sie im Notfall selbst zusammenbauen oder modifizieren müssen. Dann können Sie auch sinnvoll diese App verwenden.

Das kann nicht das Ergebnis eines solchen Projektes sein. Ich hoffe, dass die Idee weiterentwickelt wird und nicht auf “die Hersteller” oder “gesetzliche Vorgaben” gewartet wird. Sonst endet das Projekt wie die vielen anderen Apps, die ich in meiner Arbeit untersucht habe: sie werden eingestellt und vergessen.

Ich möchte hier nicht das gesamte Projekt herabwürdigen, denn die Forschung an einer solchen Technologie und deren Einordnung in einen gesellschaftlichen und gesetzlichen Kontext ist wichtig. Auch die Nebenprodukte des Projektes, wie Befragungen und Nutzerstudien, sind als Vorarbeit für eine gebrauchstaugliche Umsetzung notwendig. Doch genau deswegen finde ich diese Forschung enttäuschend: Es wurde viel Zeit und Geld investiert, und die Meldung dieser “innovativen” Forschung produziert viele schöne Pressefotos und Zeitungsartikel (und sogar ein Erklär-Video), doch was letztendlich bei dieser Maschinerie hinten herauskommt ist ein unfertiges Produkt und viele offene Fragen.

Published inDeutschPersonal

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